Offene Beziehung – eine Partnerschaft ohne Eifersucht?

Ich beobachte, dass das Thema „Offene Beziehung“ in Partnerschaften und Liebesbeziehungen mehr an Bedeutung gewinnt. Ich betreue immer mehr Paare, die entweder schon eine offene Beziehung leben oder mit dem Gedanken spielen, ihre Beziehung zu öffnen. Meist geht der Impuls von einem der beiden Partner aus. Die Gründe hierfür sind ganz unterschiedlich.

 

 

Kurz zusammengefasst: So gelingt eine offene Beziehung

Bedeutungszuwachs: Offene Beziehungen werden in Partnerschaften immer relevanter, oft initiiert durch einen der beiden Partner oder Partnerinnen

  • Grundkonzept: In einer offenen Beziehung sind neben dem Hauptpartner oder der -partnerin weitere sexuelle Beziehungen erlaubt
  • Kommunikation und Regeln: Erfolgreiche offene Beziehungen erfordern klare Kommunikation und individuelle Regeln
  • Eifersucht und emotionale Herausforderungen: Offene Beziehungen können zu Eifersucht und emotionalen Konflikten führen, besonders wenn Unsicherheiten bestehen
  • meine Unterstützung: Professionelle Beratung kann helfen, die Herausforderungen offener Beziehungen zu bewältigen und ihre Potenziale auszuschöpfen

Was ist eine offene Beziehung?

Von einer offenen Beziehung kann gesprochen werden, wenn sich Beide in der Partnerschaft dazu entscheiden, neben dem jeweiligen Partner oder der Partnerin auch weitere (Sexual)partner/innen zu haben. Leben Beide in einer Ehe, so kann von einer offenen Ehe gesprochen werden.

Dieses Konzept der offenen Ehe bzw. Beziehung kann vor allem die Selbstbestimmung und insbesondere die sexuelle Selbstbestimmung erweitern.

 

Mögliche Gründe für eine offene Beziehung

Die Gründe für eine offene Beziehung sind so vielfältig wie die Menschen. Deswegen werde ich mich auf diejenigen beschränken, die mir in meiner Arbeit schon begegnet sind.

 

Legitimation des Fremdgehens

Häufig beobachte ich die Tendenz, dass als Lösung für den Wunsch nach neuen Erfahrungen oder mehr Sex der Wechsel von einer monogamen Beziehung zu einer polygamen oder offenen Partnerschaft vorgeschlagen wird. So, als wäre das die einfachste und logischste Lösung. Fremdgehen ist ein großes Thema, wenn es um Beziehungsprobleme geht.

Um das mal kurz auf den Punkt zu bringen: das hat mit einem erwachsenen und verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema Beziehung und einer offenen Beziehung nichts zu tun. Es wird zwar als diese bezeichnet, allerdings nur deswegen, damit sich der Partner oder die Partnerin nicht mehr so schlecht fühlt und sein schlechtes Gewissen beruhigen kann. Es wird in diesem Fall nur schön verpackt und hört sich besser an. „Wir führen eine offene Beziehung!“ klingt besser als „Mein Partner hat mich betrogen bzw. betrügt mich!“.

 

Ausleben von sexuellen Neigungen

Jeder von uns hat unterschiedliche sexuelle Interessen und lebt die eigene Sexualität auf seine Art und Weise aus. Hinzu kommt, dass Sexualität selbst ein dynamischer Prozess ist, der sich sowohl im Laufe des Lebens als auch des Zusammenlebens mit meinem Partner ändern kann. Manchmal kann es auch sein, dass sich Wünsche und Vorlieben erst entwickeln oder entdeckt werden, wenn ich mich in einer Ehe oder einer langjährigen Paarbeziehung befinde. Dies alles ist nicht ungewöhnlich, kann aber für eine Partnerschaft herausfordernd werden.

Nicht selten habe ich Menschen vor mir sitzen, die sich erst durch die Therapie bewusst werden, dass sie bestimmte sexuelle Vorlieben haben. Oder diese Art der Sexualität war zu Hause verboten und du hat dir deswegen das Ausleben dieser sexuellen Neigung bisher nicht erlaubt. Dein Partner oder deine Partnerin wird plötzlich mit etwas Neuem konfrontiert. Wenn das Neue deinem Gegenüber auch gefällt, haben wir eine Win-win-Situation. Was aber tun, wenn dein Partner oder deine Partnerin, mit dem du eigentlich in Monogamie lebst und ihn oder sie liebst, deine sexuelle Neigung nicht mit dir leben kann und es auch nicht möchte? Oder dein Partner oder deine Partnerin vielleicht sogar gar kein sexuelles Interesse mehr an dir hat? Dann ist diese Art der Beziehung eine tatsächliche Alternative.

 

Mehr Abwechslung und mehr Freiheit

Ja, es kann langweilig sein, mehrere Jahre oder Jahrzehnte mit dem gleichen Partner monogam zusammenzuleben und nur mit diesem einen Menschen Sex zu haben. Wenn du dir dann noch vorstellst, dass dich die nächsten Jahrzehnte vielleicht genau das Gleiche erwartet, kann das Angst machen oder sogar Frust erzeugen. Gedanken wie „Das soll jetzt alles gewesen sein?“ oder „Das war’s jetzt?“ oder „Was gibt es da draußen alles, was ich verpasse?“ höre ich von Menschen, die in einer langjährigen, festen Beziehung sind, ständig. Und dann ist die Vorstellung, diese besondere Art der Partnerschaft zu leben im Gegensatz zur geschlossenen Beziehung das pure Abenteuer. Das Konzept der freien Liebe wirkt dann sehr verführerisch.

Hier sollte aber gesagt sein, dass die offene Beziehung zu mehr Abwechslung führen kann, aber gleichzeitig auch Arbeit und Investitionen in mehrere Bereiche deiner Beziehung bedeutet.

 

Polyamorie

Der Unterschied von einer offenen Beziehung zur Polygamie liegt in dem Unterschied von einer sexuellen zu einer Liebesbeziehung. Es bedeutet, dass du mehrere Menschen auf die gleiche Art und Weise liebst und zu jeder dieser Menschen eine Liebesbeziehung führst. Alle Beteiligten wissen darüber Bescheid und haben diesem Beziehungsmodell zugestimmt. Du hast in der Beziehung das Vertrauen und die Sicherheit, dass keiner betrügt oder belügt.

Der Unterschied zur klassischen offenen Beziehung liegt in den Gefühlen. Eine polyamore Beziehung wird nicht wegen der sexuellen Freiheiten geführt, sondern weil du mehrere Personen gleichermaßen liebst und dich nicht entscheiden möchtest oder kannst. Es sollte kein Gefühl von Eifersucht zwischen euch herrschen.

Meist geht der Anstieg an Gefühlen für eine Person mit der Abnahme an Gefühlen zu einer anderen Person einher. Häufig ist Verlustangst oder die Angst vor Fehlern der Grund, warum Menschen in alten Beziehungen bleiben, obwohl sie eine andere Person mehr lieben. Dies hat allerdings nichts mit Polyamorie zu tun.

Natürlich lassen sich auch Polyamorie und das Führen einer offenen Beziehung miteinander kombinieren.

 

Ist eine offene Beziehung sinnvoll?

Es gibt unzählige verschiedene Beziehungsmodelle und Beziehungsformen. Und es gibt viele Menschen, für die eine geschlossene und monogame Beziehung überhaupt keine Option ist. Für diese Menschen ist die nicht monogame Beziehung nichts, was sich entwickelt oder entsteht. Der Wunsch nach einer offenen Beziehung wird hier von Beginn an offen und klar kommuniziert und gelebt. Es kommt häufig vor, dass in der partnerschaftlichen Beziehung Themen wie Familie, Kinder, Heiraten, emotionale Treue etc. eine große Rolle spielen und realisiert werden. Das Thema Sexualität wird dann unter anderem offen und natürlich im Außen, mit mehreren Sexualpartnern gelebt.

Mögliche Probleme einer offenen Beziehung

Häufig wünschen sich die Partner/innen meiner Praxis Unterstützung bei dem ersten Schritt zur Öffnung der Zweierbeziehung. Manchmal haben die Paare auch schon die ersten Schritte in eine offene Beziehung oder offenen Ehe gewagt und es kam zu herausfordernden Situationen.

Absprachen und Kommunikation

Das A und O für das Funktionieren dieser Beziehung sind klare Absprachen, eine offene Kommunikation – und es braucht Regeln. Wenn in deiner Partnerschaft vor dem Öffnen der Beziehung die Kommunikation nicht optimal gelaufen ist, so wird das Öffnen der Beziehung eure Kommunikation nicht verbessern oder vereinfachen. Klare Regeln, das Kennen deiner eigenen Bedürfnisse und Grenzen sind essenziell für diese Art der Beziehung. Um hier Abstimmungen zu treffen, braucht ihr als Paar eine gute, emotional erwachsene Kommunikation und Vertrauen zueinander.

Jedes Paar hat individuelle Regeln und Absprachen in Bezug auf diese Form des Zusammenlebens. Beispielsweise sprechen einige in Liebesbeziehungen über die Erfahrungen aus der eigenen Beziehung, andere nicht. Die einen wechseln die Sexualpartner, andere treffen über einen längeren Zeitraum die gleiche Person. Wichtig ist hierbei, dass ihr eure Regeln selbst und vollkommen individuell festlegen könnt. Diese müssen für sich für euch beide richtig anfühlen und für niemand anderen.

Schwierig wird es erst dann, wenn ihr euch nicht an die Absprachen und Regeln halten. Dann wird Vertrauen missbraucht und verletzt. Ohne Vertrauen kann eine offene Beziehung nicht gelingen.

Eifersucht

Eifersucht entsteht meist dann, wenn du glaubst, nicht gut genug zu sein und dich mit einer anderen Person oder Personengruppe vergleichst. Es ist eine Folge eines geringen Selbstwertgefühls.

Wenn du dich nicht sicher in deiner Beziehung fühlst, nicht sicher weißt, dass deine Beziehung stabil ist und du deinem Partner oder deiner Partnerin vertrauen kannst, kann eine offene Beziehung eine wahre Zerreißprobe für dich sein. Viele Menschen gehen in eine monogame Beziehung, weil sie sich Sicherheit und Stabilität wünschen. Ebenso möchten sie für ihren Partner oder ihrer Partnerin etwas Besonderes und einzigartig sein. In einer offenen Beziehung bist du das auch, aber auf andere Art und Weise. Es gibt dann Andere neben dir.

Eine offene Beziehung braucht Menschen, die sich in sich stabil und sicher fühlen und ihren Selbstwert kennen. Die keine andere Person brauchen, die ihnen diese Gefühle gibt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wirst du keine Eifersucht spüren. Dann empfindest du die Öffnung der Beziehung als keine Bedrohung, Unsicherheit oder Instabilität. Du wirst dich nicht mit den anderen vergleichen.

Eifersucht kann sich wie Gift anfühlen, das langsam oder schnell durch deinen Körper wandert. Unaufhaltsam. Sie kann zerstörend sein. In dir und in der Beziehung. Wichtig ist hierbei, dass Eifersucht niemals mit deiner Partnerschaft oder deinem Gegenüber zu tun hat, sondern immer nur mit dir selbst.

Gefühle und Emotionen

Paare, die bei mir in der Paartherapie sind oder waren, hatten eine klare Regel. Gefühle oder Emotionen für den externen Part sind ausgeschlossen. Sie waren ausschließlich für den (Ehe-) Partner reserviert. Liebe und Sex sollen klar getrennt werden. Somit wollten sie versichern, dass sie auf einer Ebene exklusiv bleiben. Vielleicht sogar, dass du in einem Bereich für deinen Partner einzigartig und besonders bleibst.

Manche Liebesbeziehungen erhoffen sich durch das Öffnen der Beziehung eine Klarheit über die eigenen Gefühle. Es wird versucht, die Öffnung als die Lösung für (emotionale) Beziehungsprobleme zu nutzen. Dann ist eure Beziehung grundsätzlich anfällig und das Prinzip der offenen Beziehung wird verfehlt. Du erhoffst dir, deine emotionalen Bedürfnisse durch eine weitere, neue Person zu befrieden. In dieser Beziehung kannst du dann mit Erlaubnis so viele Menschen „ausprobieren“, bis du die passendste Person gefunden hast. Für diese Person trennst du dich dann von deinem Partner oder deiner Partnerin und gehst eine neue, wahrscheinlich zu Beginn geschlossene, Beziehung ein. Dein Kreislauf beginnt von Neuem.

Was du dadurch vermeidest, ist die Phase, in der du alleine bist. Alleine mit dir selbst. Deinen Gefühlen und Mangelgefühlen.

Muster und Beziehungsdynamik

Diese beiden Punkte habe ich in den oberen Punkten immer wieder erwähnt. Jeder von uns hat eine individuelle Vorstellung davon, wie er/sie Beziehung führen möchte. Diese Vorstellungen, Wünsche und Träume sind von vielen Faktoren abhängig. Hauptsächlich aber von unserer Kindheit, unseren Eltern und wie unsere Eltern Beziehung (vor-) gelebt haben. So hast du gelernt, was eine für dich „normale“ Beziehung ist. Wenn deine Eltern eine gesunde offene Beziehung gelebt haben, wirst du mit der Umsetzung keine Probleme haben und die Öffnung deiner Beziehung wird sich für dich ganz natürlich anfühlen. Was ist aber, wenn deine Eltern das Konzept der lebenslangen Monogamie gelebt haben? Dass nur ein Partner oder eine Partnerin „normal“ ist? Sex nicht außerhalb der Ehe gelebt werden darf? Vielleicht hat dein Vater/deine Mutter dein anderes Elternteil betrogen und deswegen ist der Schritt zur offenen Beziehung undenkbar?

Deine Muster bestimmen deine Beziehungsdynamik. Nirgends zeigen sich deine Muster so gut wie in deinen Beziehungen zu anderen Menschen. Egal, ob zu deinem Partner, deinen Kindern, deinen Freunden, Arbeitskollegen oder Eltern.

Wenn du Muster und Glaubenssätze gelernt hast, die sich nicht mit einer offenen Beziehung vereinbaren lassen, wirst du eine innere Zerrissenheit spüren. Vielleicht nicht zu Beginn, aber irgendwann. Auch wenn dein Kopf, deine Ratio, sagt, dass das Konzept für dich genau das Richtige ist, hast du jahrelang etwas anderes gesehen, gehört und vorgelebt bekommen.

Das bedeutet nicht, dass Kinder aus monogamen Elternhäusern niemals eine offene Beziehung führen können. Es bedeutet einfach nur Arbeit, um sich der eigenen Muster und Glaubenssätze bewusst zu werden. Damit diese nicht mehr deine Beziehungsform bestimmen, sondern du deine Beziehungsform frei wählen kannst.

Wie kann eine offene Beziehung gelingen? Eine persönliche Einschätzung.

In der Regel gehe ich mit den Paaren dorthin zurück, wo sie vor der Öffnung gestartet sind. Wir räumen den ganzen Müll auf, der nicht beseitigt wurde. Bildlich gesprochen steigen wir nicht einfach über den Müllhaufen drüber, sondern sortieren, trennen, recyceln, werfen weg, verwenden wieder.

In meiner Paartherapie schauen wir uns gemeinsam die Herausforderungen eurer Beziehung und deren Dynamik an. Wir schauen, welche Funktion das Öffnen, der vorher monogamen Beziehung vielleicht hatte. Was hat (in) der Beziehung gefehlt? Wie ist die Kommunikation? Wie sieht gesunde Kommunikation eigentlich aus? Kann ich meine sexuellen Vorlieben vielleicht sogar mit meinem Partner leben? Kenne ich meine Bedürfnisse und Grenzen und kann ich diese kommunizieren? Wo ist Scham und Schuld ein Thema?

Erst wenn ihr gelernt habt, miteinander zu reden, sich selbst, ihre Emotionen und Gefühle kennen und verstehen gelernt haben, wertschätzend, respektvoll und liebevoll miteinander umgehen, dann ist eine offene Beziehung sinnvoll. Faustregel ist: Die eigentliche Beziehung oder Ursprungsbeziehung muss stabil aufgestellt sein. Erst dann kann das Führen einer offenen Beziehung aus psychologischer Sicht eine wahre Bereicherung für die Beziehung sein.

Solltest das Thema „Offene Beziehung“ für dich/euch infrage kommen oder solltest du in einer offenen Beziehung leben und du oder dein Partner oder Partnerin habt Probleme, dann empfehle ich euch, dass ihr euch externe Hilfe von jemandem holt, der sich mit dem Thema auskennt. Darüber zu sprechen, kann wahre Wunder bewirken.

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Annika Sengpiel

Paar- und Sexualtherapeutin in Karlsruhe.

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